Ausstellung: Ursula van Boekel »Vor aller Augen«
Ausstellungseröffnung im Gottesdienst am 26. Februar 2023
Ausstellungsdauer vom 26. Februar – 11. April 2023
Die Stadtkirche ist geöffnet Di-Fr 9-16 Uhr sowie Sa 9-12 Uhr
Vor aller Augen
In der Collage überlagert Altes Neues. Zeit und Geschichte werden in der Umsetzung dieser Technik nicht linear, sondern in Kreisläufen gedacht. Das ist modern, wenn man an den längst relevant gewordenen verantwortungsbewussten Umgang mit immer knapper werdenden Ressourcen denkt. Und es macht bewusst, dass das Einstige nicht wirklich vergangen ist, sondern, ganz im Gegenteil, beständig wiederkehrt. Eine Einsicht, die sich gerade angesichts des andauernden Krieges in Europa gewinnen lässt: Der Krieg ist nichts, das vergangen ist. Für Europa lässt sich sagen: Er ist wieder da, und er ist nah. Der Krieg beschäftigt Ursula van Boekel. In ihrem Atelier in Frankfurt am Main erzählt sie von einer Mauer im Hof einer 1960 erbauten Wohnanlage in Darmstadt. Dort hat sie die ersten Jahre ihrer Kindheit verbracht. Diese Wohnanlage wurde auf den Trümmern des ehemaligen
Geländes der Gestapo in Darmstadt errichtet. Lediglich die Mauer, ab 1960 Spielstätte der Kinder, Spielstätte auch für Ursula van Boekel, steht bis heute und man erzählt, dass dort Erschießungen stattgefunden haben sollen Die Geschichte der Mauer wird Teil der eigenen Geschichte und Erinnerung und in diese integriert wie ein Element in die Collage. Dort steht die Mauer nun; als Spielplatz und als Hinrichtungsstätte. Man fragt sich, welche Geschichte(n) die Köpfe und Körper derer, die sich in den Arbeiten Ursula van Boekels versammeln, in diese hineintragen. Was haben sie schon alles gesehen und erlebt, bevor sie aus ihren ursprünglichen Leinwänden herausgeschnitten und in der Collage einen neuen Platz gefunden haben? Es kann nichts Gutes sein. Dicht gedrängt stehen die Gruppen entweder auf weißem oder auf schwarzem Grund vor den Toren einer Stadt oder umgeben von Finsternis. Sie stehen ruhig, jeder Körper fest verankert in der Erde, den Kopf aufrecht haltend. Man erkennt Gesichter, obwohl der eigene Blick doch nicht immer erwidert wird. Sind da zwei Augen, oder nur eines? Oder sogar drei? Vielleicht ist eines davon gar kein Auge, sondern ein Loch, eine Wunde? Erneut kommt die Collage ins Spiel, um den versehrten Gesichtern einen Ausdruck zu geben. Nicht mehr nebeneinander, sondern ineinander aufgelöst formen Köpfe und Körper zwei Augen, eine Nase und einen weit geöffneten Mund. In der Ausstellung »Vor aller Augen« begleitet diese Manifestation der Vielen die Predigtreihe zur Passionszeit an prominentester Stelle: Der Kopf mit dem aufgerissenen Mund ruht als Mahnung an das Leid auf dem Altar der Stadtkirche – und steht gerade dort aber nicht nur als Mahnung an das Leid, sondern gleichermaßen als Mahnung an die Hoffnung auf das Gute. Denn wo heute gepredigt und Kunst gezeigt wird, lag vor etwa achtzig Jahren nicht viel mehr als Schutt und Asche. Ursula van Boekel, die eine persönliche Verbindung zur Stadtkirche Darmstadt hat, weil sie den Kindergarten der Stadtkirchengemeinde besuchte und dort im Kinderchor sang, hätte keinen passenderen Ort für ihre Arbeiten finden können: Der Appell, hinzuschauen – auf den Krieg, das Leid und den Tod –, findet statt an einem Ort, in den die Menschen nach dem Krieg ihre Hoffnungen auf eine gute Zukunft gesetzt haben.
© Dr. Alisa Heinemann
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